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Neujahrswünsche

Die ersten Tage eines neuen Jahres sind oft geprägt von Elan und Schwung. Getragen von dem Wunsch etwas anzupacken und zu ändern. Ein Neubeginn. Wir verspüren die Chance tief durchzuatmen, etwas Altes loszulassen und das neue Jahr frisch zu beginnen – ein unbeschriebenes Blatt Papier.


In einem solchen Neubeginn liegt für mich etwas heilsames, vergebendes: wir erlauben uns den alten Ballast aus Reue, Schuldgefühlen und Frust loszulassen und nach vorn zu sehen. Wir probieren es noch einmal, geben uns und dem Leben eine neue Chance.


Wenn wir loslassen, was uns belastet, schöpfen wir neue Kraft und neuen Mut. Wir raffen uns auf und nehmen noch mal Anlauf. Egal, ob wir uns vornehmen nun endlich mit dem Rauchen aufzuhören, uns gesünder zu ernähren, heilsamere Wege zu finden mit Wut und Ärger umzugehen oder eine tiefsitzende Angst überwinden – wir starten einen neuen Versuch.


Allerdings sind 365 Tage lang und vielleicht beginnt die erste Energie und Erleichterung, die wir aus dem Neuanfang geschöpft haben bereits jetzt in der zweiten Woche zu schwinden. Dann kann es paradoxer Weise helfen sich in Erinnerung zu rufen, dass der Jahreswechsel an sich völlig bedeutungslos ist. Er ist weder an den Lauf der Sonne noch an den Lauf des Mondes gebunden. Erst seit 1691 ist der erste Januar in Europa überhaupt der Anbeginn eines neuen Jahres. Und in weiten Teilen der Welt wird Neujahr ohnehin an einem ganz anderen Tag gefeiert.


Geben wir also einem von 365 Tagen im Jahr zu viel Bedeutung?

Oder geben wir den anderen 364 Tagen zu wenig Bedeutung?


Der Jahresanfang ist mit Sicherheit überfrachtet mit Hoffnungen und Anforderungen, die wir an das neue Jahr stellen. Oft erwarten wir, dass sich nun fundamental etwas ändern wird. Mit dieser Hoffnung legen wir allerdings auch die Grundlage für unsere Enttäuschung. Unsere Angewohnheiten und Denkmuster sind zu stark, als dass wir sie unumstößlich von heute auf morgen ändern könnten. Die Idee, etwas aus purem Willen heraus anders machen zu können führt zu Überforderung und Frust. Willenskraft kann uns im besten Falle unterstützen, im schlimmsten Falle macht er uns hart und engstirnig.


Wie können wir dann eine Änderung umsetzen?


Durch Verständnis. Jahre verlaufen nicht linear - sie sind Teil eines Zyklus. Wir erlauben uns vielmehr Rückschau zu halten. Wir besinnen uns mit Mut und Ehrlichkeit auf das, was in der Vergangenheit geschehen ist und hinterfragen unsere Gewohnheiten. Wir können uns Fragen stellen wie:


Gibt es etwas an dieser ungeliebten Gewohnheit, dass mir Kraft, Sicherheit oder Vertrautheit schafft?

Welches Gefühl, welche Stimmung tritt in mir auf, wenn ich versuche die Gewohnheit zu unterbrechen?

Mit was müsste ich mich konfrontieren, auseinandersetzen, wenn ich Veränderung zulassen will?


Aus dieser Art der Auseinandersetzung mit uns selbst wächst Erkenntnis. Wir brauchen diese Erkenntnis, um zu verstehen welche Mittel und Wege uns helfen etwas zu ändern. Wenn wir Verständnis für Dynamiken und Prozesse im Inneren wie im Äußeren haben, dann müssen wir nicht mit Willenskraft gegen etwas an arbeiten, sondern können hilfreiche und sanfte Mittel finden, um Änderungen herbeizuführen.


Und ja, wir geben auch den anderen 364 Tagen zu wenig Bedeutung. Wenn der Neujahrstag völlig willkürlich ist und uns der Neubeginn so gut tut, dann sollten wir ihn jeden Tag zelebrieren. Jeden Tag aufs neue eine leere Seite aufschlagen und neuen Mut fassen.


Akzeptieren, dass Änderungen sich nur Schritt für Schritt umsetzen lassen und nur dann wenn wir verstehen, was sie nährt und oder verhindert. Am Ende ist jede Stunde, jede Minute, jeder Atemzug ein Neuanfang.


In diesem Sinne wünsche ich uns allen zum neuen Jahr, an diesem und allen weiteren Tagen mehr Neugier. Wahrnehmen was da ist. Wahrnehmen was uns gut tut. Wahrnehmen, wo es hakt.

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