Mitgefühl ist ein starker Verbündter, wenn es darum geht diesem menschlichen Leben, mit allen seinen kleinen und großen Herausforderungen zu begegnen.
Dennoch erlebe ich immer wieder, dass den Übungen und Überlegungen zum Mitgefühl mit Vorbehalt begegnet wird - und das durchaus zu recht!
Mitgefühl kann, wenn wir es nicht genau betrachten, zu mehr Schmerz und zu Überforderung beitragen, oder aber auch in Mitleid umschlagen.
Hilfreich ist es daher, wenn wir das eine vom anderen, das Hilfreiche vom Nicht-Hilfreichen unterscheiden können. Woher weiß ich, dass mich diese Praxis stärkt und nährt und mich nicht endlos um meinen Schmerz kreisen lässt?
Mitleid zeichnet sich im Gegensatz zum Mitgefühl vorallem durch die Geschichten aus, die es erzählt. Es kommt einher mit endlosen Versuchen sich zu rechtfertigen oder den anderen zu beschuldigen. Manchmal auch andersherum, dann beschuldigen wir uns selbst und Erleben Wellen und Wellen an Scham. Mitleid bezeichnet das Erlebte als unfair und ungerecht, den Gegenüber als gemein oder rücksichtslos, uns selbst als unfähig oder zu schwach. Damit schafft das Mitleid vorallem eins: Identität. Es schreibt uns und anderen eine Geschichte, sagt uns wie und wer wir sind. Dadurch nehmen wir die Haltung des Opfers an, dem Dinge passieren, das durch das Erlebte definiert wird. Wir fühlen uns zunehmend geschwächt, hilflos.
Was diese Geschichten verhindern ist, dass wir wirklich mit dem Schmerz, der Enttäuschung, der Angst, der Sorge und all den anderen Erfahrungen, die Teil des menschlichen Erlebens sind in Kontakt kommen. Zu groß die Sorge sein, dass uns das Hinspüren und Erfahren übermannt / überfraut. Zu groß die Befürchtung, dass dieser Schmerz bleibt und uns fortan verfolgt, wenn wir nicht gleich etwas dagegen tun...
Sich dem Schmerz zuzuwenden und sich von den Geschichten um ihn herum abzuwenden braucht Mut und einen wichtigen Verbündeten: das Mitgefühl.
Mitgefühl kommt ohne Geschichte und Identität aus. Sie urteilt nicht über uns und den anderen. Sie spricht keine Schuld aus und äußert keine Vorwürfe. Sie ist einzig und allein dem Schmerz zugewandt. Ob der aus dem Ärger, der Scham, der Enttäuschung stammt, ob dieser gerechtfertigt ist oder nicht - all das ist dem Mitgefühl herzlich egal.
Stattdessen hält sie das kleine und große Leid in fürsorglicher Achtsamkeit, einer Achtsamkeit, die der Buddha mit zwei Händen verglich, die einen zerbrechlichen Vogel halten. Weder lässt sie es alleine, noch bricht sie in ihm zusammen, wird dieses Leid.
Wer sich in Mitgefühl für sich selbst und andere üben möchte, der kann sich immer wieder fragen, ob er/sie tatsächlich mit dem Schmerz, dem Leid, der Unruhe in Kontakt ist. Oder ob wir uns von den Geschichten um den Schmerz haben einfangen lassen. Können wir uns mit Geräumigkeit und Ruhe dem Schmerz zuwenden, ohne uns in ihm zu verlieren? Den beständigen Fluss des Atems, die Festigkeit und das Gewicht des Körpers spüren und uns aus dieser Erdung heraus dem Unangenehmen zuwenden? Ohne durch die Türen zu treten, die uns Ausflüchte des Mitleids anbieten?
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